Rinpoches Inthronisierung und die frühen Jahre der Ausbildung

Am dritten Tag des ersten Monats des Tibetischen Mondkalenders erreichte Rinpoche sein in der Hauptstadt Yendum (dbyen-dum) gelegenes Hauptkloster Tashi Yangkyil, das auch Magön genannt wird. Noch am Tag seiner Ankunft wurde Rinpoche förmlich als der 9. Kyabgön von Dagyab inthronisiert. Sämtliche Vertreter der zentraltibetischen Regierung sowie der umliegenden Gegenden kamen, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Ein Repräsentant Seiner Heiligkeit des Dalai Lama überreichte ihm einen gelben Brokat. Darauf war in zinnoberroter Pigmentfarbe sein neuer Name geschrieben, den der Dalai Lama selbst gegeben hatte: Lobsang Tenzin Chökyi Gyaltshen.

 

Rinpoche im Kloster Yendum

Rinpoche im Kloster Yendum

Nach drei Tagen ausführlicher Zeremonien und Feierlichkeiten ließ Rinpoche sich in seiner Residenz, dem sogenannten Königlichen Haus „Gyalkhang“, nieder. Er wohnte dort im Hauptgebäude, dem Roten Palast „Phodrang Marpo“, bis er vierzehn Jahre alt war.

 

Rinpoches Eltern besuchten ihn oft, da sie ihm aus Menya gefolgt waren. Sein Vater schlief bis zu seinem Tod neben ihm. Er wurde nur 49 Jahre alt. Einer von Rinpoches persönlichen Assistenten (mdun-bskor) – als “Zimpön” zuständig für die Kleidung – schlief gemäß den Vorschriften auch dort. Seine beiden Leibwächter „Zimgag“, schliefen abwechselnd im Vorzimmer. Seinen Eltern und einige Verwandten wurde vom Dagyab-Labrang angeboten, in der Sommerresidenz der Kyabgöns zu wohnen. Sie lag am Fuße des Berges, nahe seiner eigenen Residenz. Heute wird dieses Gebäude von der örtlichen Kreisverwaltung benutzt. Rinpoches Vater, Lobsang Dorje, erhielt den Titel „Denchang“ (ldeu `chang) „Schlüsselträger“, was ihm einen hohen Rang verlieh. Seither arbeitete er im Sekretariat der Hauptverwaltung, dem sogenannten „Yigtsang“.

 

Seit dem siebten Lebensjahr lernte Rinpoche von seinem Senior-Tutor Tsonsang Tulku das Lesen von tibetischen Schriften. Er musste viele buddhistische Texte auswendig lernen. Außerdem musste er für die Gebetszeremonien den traditionellen Gesang und den Gebrauch der religiösen Instrumente erlernen. Sein Junior-Tutor Geshe Kalsang Phuntsog war dafür verantwortlich, ihm diese Kenntnisse zu vermittlen. Beide Lehrer waren äußerst streng, aber besonders sein Junior-Tutor war auch sehr gütig und geschickt.

 

Es gab zwar damals keine Uhren, dennoch lässt sich Rinpoches Tagesablauf beschreiben wie folgt:

  • 4 bis 6.30 Uhr Texte auswendig lernen im Licht von Butterlampen
  • 7 bis 12 Uhr Leseübungen
  • 14 bis 16 Uhr Schreibübungen, Rituale, Gebrauch der religiösen Musikinstrumente
  • 16 bis 18 Uhr Leseübungen
  • 19.30 bis 22 Uhr Gelernte Texte rezitieren

 

Eine Ruhepause am Sonntag war in Tibet unbekannt. Das Jahr über gab es verschiedene Feiertage nach dem Tibetischen Mondkalender, zum Beispiel während des Tibetischen Neujahrs. Im Sommer gab es Picknicks in Changrag, dem Weidenbaum-Park. Spielzeuge für Kinder waren auch so gut wie unbekannt. Der junge Rinpoche durfte mit Teigklumpen spielen und sie zu Figuren formen, und er freute sich, wenn er im Park in der Nähe eines Baches spielen durfte. Er war immer von Erwachsenen umgeben und kannte keine Kinder seines Alters. Ein kleiner Hund namens Manga war sein regelmäßiger Spielgefährte. Selten verließ er den Roten Palast, außer wenn er an Gebetszeremonien außerhalb seines Klosters teilnahm, oder wenn er zu den Sommerpicknicks ging. Jedes Jahr am 15. Tag des vierten Monats des tibetischen Kalenders, Saga Dawa, umrundete Rinpoche das gesamte Kloster auf einer sogenannten Korwa. Saga Dawa feiert drei glückverheißende Ereignisse: Buddha Shakyamunis Geburtstag, den Tag seiner Erleuchtung und den Tag, an dem er ins Paranirvana eingegangen ist. Er stellt daher einen der wichtigsten Feiertage im Buddhismus dar.

     

    Rinpoche lernte auch Meditations-Praktiken von seinen Tutoren, unter deren Anleitung er mehrere Meditations-Klausuren machte.